Entgrenzung braucht Grenzen

Retrospektive zu Hans Haacke in der Berliner Akademie der Künste

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 5 Min.
Haacke ist ein Aufklärer. Für ihn ist Kunst etwas, das uns das Selbstverständliche unseres Alltags als gar nicht mehr selbstverständlich erscheinen lässt - eher als ständigen Ausnahmezustand, an dessen Dauerpräsenz wir uns bloß bereits gewöhnt haben. Ein Aufklärer also im Sinne eines permanenten Ausbruchs aus einer ebenso anhaltenden wie selbstverschuldeten Unmündigkeit jedes Einzelnen. Insofern zwangsläufig politisch, die Kunst aus der Ecke des schönen Scheins mitten in den schmutzigen Alltag der Macht hineinstellend. Geht man durch die Haacke-Retroskeptive aus Anlaß seines 70. Geburtstages im Behnisch-Bau der Berliner Akademie der Künste, stellen sich Fragen über das Selbstverständnis von Kunst in einer modernen Gesellschaft. Das ist vom Künstler, der das im traditionellen Sinne gar nicht mehr sein will, auch gewollt. Kunst soll hier mehr sein als ein Kunstwerk: mittels eines ästhetischen Anspruchs die Logik des bloß reibungslosen Ablaufs fragloser Gegenwart provozierend und diese damit delegitimierend. Ein eingreifender Störfall. Allerdings, dieser aufklärerische Impetus manifestiert sich selber mittels eines enorm appellativen Furors. Haacke will die Kunst nicht aus ihrer moralischen Haftung entlassen. Aber wie entkommt er dabei dem Gestus des Moralisierens? Dieser Künstler, der nicht moralisieren, sondern aufzeigen will, setzt auf eine reduzierte, beinahe asketische Formensprache, um deren Eindringlichkeit seine Raumkonzepte ringen. Das wichtigste Kriterium dabei: Transparenz. Alles muss sichtbar sein, jedes Kunstgeraune, das Geheimnis als Ausflucht für fehlende Aussage, ist seine Sache nicht. Dieser Ansatz begleitet die Avantgarde bereits das ganze 20. Jahrhundert hindurch. Die trat mit dem Ruf an: Holt die Kunst aus den Museum heraus, macht sie zum gegenwärtigen Streitfall, wenn nötig auch zum Skandal! - Hauptsache sie bewirkt etwas. Die bürgerliche Vorstellung des Kunstwerks sollte damit entgrenzt werden, die Kunst Einzug in bislang kunstfreie Räume finden. Dieser Anspruch spiegelt sich noch in Haackes Installationen und Raumkonzepten, die aus der gleichen Wurzel erwachsen wie etwa die enthüllenden Verhüllungen eines Christo. Aber in welchem Verhältnis stehen Politik und Kunst zueinander? Ein dauernder Streitfall. Haacke dokumentiert Fallhöhen zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Dem Satz »Dem Deutschen Volke« am Reichstagsgebäude hat er eine bewusste Profanität entgegengesetzt, die entpathetisierend zugleich den Anspruch humanisiert: »Der Bevölkerung«. Im Lichthof des Reichstagsgebäudes erweist sich ein Trog mit der Erde aus allen Wahlkreisen als fruchtbar. Ein Brombeerstrauch überwächst nun schon zwei Buchstaben der Inschrift. Das wird zum bitter-bösen und doch auch unaufgeregt-schönen Sinnbild für die Vorläufigkeit alles zeitlichen Bedeutsamkeitsanspruchs: Er verwächst sich mit der Zeit, wird überwuchert von Vergessen. Hier offenbart Haackes Installation sogar eine - ironisch gebrochene - metaphysische Dimension. So ganz ohne Geheimnis ist die Kunst des Aufklärers dann doch nicht. Um den Topf mit Brombeerstrauch unter der Überschrift »Der Bevölkerung« rankte sich dann auch eine possierliche Bundestagsdebatte über die Freiheit der Kunst im Allgemeinen und im Reichstagsgebäude im Besonderen. Mit der Mehrheit von 260 zu 258 Stimmen entging Topf mit Brombeere knapp dem Platzverweis. Haacke erklärt die aberwitzige Debatte zum Teil der Ausstellung, die Politikerreden machen hier, was sie im Medienzeitalter ohnehin tun: Sie laufen per Bildschirm Schleife. Andere seiner ästhetischen Äußerungen sind dagegen ganz und gar eindeutig. Seine zerrissene US-Fahne zum Beispiel. Mit ihr will Haacke auf die Spaltung der amerikanischen Nation in der Nahostpolitik hinweisen. Das ist zwar eindeutig, aber auch sehr eindimensional. Kunst als Angriff auf das herrschende falsche Bewusstsein, wie schon bei den Expressionisten - oder bloße Agitation? Ebenso ausrechenbar wirkt das Sternenbanner als Kopfüberzug, wie wir ihn von Guantanamo-Fotos her kennen. Da schien mir manche tagesaktuelle Karikatur schockierender durch ihre unvorhergesehenen Bildarragenments. Ja, einiges wirkt geradezu betulich und fast schon antiquiert in dieser Ausstellung. Läuft da eine bestimmte Kunstrichtung so langsam leer? An der Glas-Fassade des Gebäudes hat der seit 1965 in New York lebende Kölner die Biografien von sechsundvierzig Ausländern angebracht, die in diesem Land ermordet wurden. Die Überschrift: »Weil sie nicht deutsch aussahen.« Eine nüchterne Feststellung. Da denke ich dann an Gottfried Benns Gedicht »Mann und Frau gehen durch die Krebsbaracke«, in dem es heißt: »Komm hebe ruhig diese Decke auf.« Darunter Schmutz und Verwesung. Derartig »Aufdecken«, nicht im politisch anklagenden Sinne verstanden, sondern im quasi-dokumentarischen Sinne, also collagierend-auschöpfend, das will hier Haacke. Aber die Frage bleibt drängend im von Haacke so akribisch gestalteten Raum stehen, dieses Raums, der auch eine strukturierte Leere ist: In welchem Verhältnis stehen Kunst und Politik, wann erfüllt Kunst ihren subversiven Auftrag? Wenn sie selbst politisch wird, oder wenn sie bewusst in eine Distanz zur Politik geht, um diese an einem anderen, einem geistig-ästhetischen Maßstab zu messen? Haacke nimmt diese Frage durchaus ernst, indem er sich hütet, abschließende Antworten zu geben. Stattdessen ergebnis-offene Experimente. Aber die bleiben kühl-verstandesmäßige Arragements, didaktisch oft überdeutliche Fingerzeige, die mit dem kathartischen Element von Kunst nicht mehr rechnen. Es bleibt der Eindruck von dieser Retrospektive, dass Entgrenzung nicht unendlich fortgesetzt werden kann. Die Umkehrbewegung scheint eine dialektische Notwendigkeit: Ohne Begrenzung, also ohne den Werkcharakter der Kunst, droht diese auf Dauer jene Intensität zu verlieren, die sie durch Entgrenzung doch gerade gewinnen wollte. Insofern steht hier ein Wort im Raum: Überdehnung. Es droht der Verlust an Kontur. Wenn alles Kunst ist, hört die Kunst auf. Akademie der Künste, Pariser Platz 4, noch bis zum 14. Januar
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